Buch-Welt-Musik
Medium Rezension
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Brookner, Anita
Anita Brookner – Hotel du Lac
englische Ausgabe erschienen 1984, deutsche Ausgabe 2020
Dora Winkler
Geheimtipp - Wiederentdeckung
Geboren 1928 in London, Studium der Kunstgeschichte, Expertin für französische Kunst des 18. und 19. Jahrhunderts, übernahm 1967 als erste Frau die Slade-Professur der Schönen Künste in Cambridge. Literarisches Debüt 1981: Ein Start ins Leben.
Für "Hotel du Lac" erhielt sie 1984 den Booker-Prize. Sie starb 2016. Insgesamt erschienen insgesamt 24 Romane. Sie gilt als meisterhafte Stilistin.
39 Jahre und kein bisschen weise bzw. angepasst - Edith Hope
Edith Hope ist 39 Jahre alt, Schriftstellerin, Autorin von mehr oder weniger romantischen Romanen, die sich noch gut, aber nicht mehr so gut wie früher verkaufen. Sie schreibt nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Und sie hat sich einen schlimmen Fauxpas geleistet, zumindest in den Augen ihrer Freunde und Bekannten. Nun wurde sie für ca. einen Monat ins Exil geschickt, zur Buße und damit sich Gemüter beruhigen. Das „Hotel du Lac“ liegt in der Schweiz an einem See; es ist Herbst, Nachsaison, das Hotel spärlich belegt und sehr konservativ gediegen. Zur Buße gehören schlechtes Wetter, dem schlechten Gewissen angepasst. Trübselige Stimmung und Orientierungslosigkeit der Heldin.
So ganz bußfertig scheint die Delinquentin aber nicht zu sein, vielleicht sogar ein wenig aufsässig. Das bekommt ihre feine Londoner Gesellschaft aber nicht mit. Und was Edith so Schlimmes getan hat, erfährt der Leser/die Leserin später im Buch. In meiner Achtung stieg sie ab da allerdings stark. Ich hatte sie schon als depressive, in ihre Graues-Maus-Dasein verliebte Person eingestuft. Aber das täuschte. Wie so vieles in diesem Roman. Mit Edith steigen Leserinnen und Leser langsam hinter die Lebens- und anderen Lügen der Hotelgäste, die sie in Ermangelung anderer Zerstreuungen intensiv beobachtet, belauscht und in Beziehung zu sich und ihrem Leben ebenso wie zu ihren Freunden und Freundinnen in London setzt. Und zu überraschenden Erkenntnissen kommt, vor allem über sich selbst und die Versuchungen, die ihr erneut begegnen in Gestalt eines gewissen Mr. Neville. Der Teufel steckt im Detail, wie sie herausfindet.
Mehrfaches Lesen erwünscht
Beim zweiten Lesen hat mir das Buch Spaß gemacht, beim ersten Mal war ich manchmal genervt, weil die Heldin so wenig zielbewusst schien, so halt- und ziellos. Aber wer in einer Lage wie Edith ist, der/die kann wohl gar nicht anders. Das Ende allerdings war ganz in meinem Sinn. Ich war’s zufrieden. Und habe nochmal von vorn angefangen. Jetzt bereiten mir die feine Ironie, die überaus kritische Haltung der Autorin und die schönen Spitzen gegen die so genannte gute Gesellschaft richtig Vergnügen.
Und wie Edith können sich ihre Leser und Leserinnen fragen: Wie hältst du es eigentlich mit deinen Beziehungen, Freundschaften, Lieben? Wie ehrlich und aufrichtig ist das alles. Wie gehst du mit Alleinsein und Einsamkeit um? Welche Kompromisse gehst du denn ein, bist du bereit einzugehen? Hand aufs Herz.
Ich verdanke Daniel Schreiber und seinem Buch „Allein“ den Hinweis auf Anita Brookner. Guter Tipp.
Verlag Eisele - 2. Auflage 2021 - Buch
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