1098 Gasdanow , Gaito Gaito Gasdanow - Nächtliche Wege Christiane Körner | Gaito Gasdanow, eigentlich: Georgi Iwanowitsch Gasdanow, geboren 1903 in Sankt Petersburg, gestorben 1971 in München, war ein russischer Schriftsteller und Journalist. Im Zuge der russischen Revolution und auf abenteuerlichen Wegen kam er 1923 als Emigrant nach Paris. Er arbeitete als Lastenträger, Lokomotivwäscher und Mechaniker (bei Citroën). Nachts fuhr er Taxi und besuchte zudem an der Sorbonne Vorlesungen in Literaturgeschichte, Soziologie und Wirtschaftswissenschaften. Er publizierte in Zeitungen und Zeitschriften der russischen Emigration. Seine Arbeiten wurden positiv bewertet, die Honorare waren aber sehr gering, so dass seine finanzielle Lage immer prekär blieb.
Im Zweiten Weltkrieg schloss er sich mit seiner Frau der Résistance an und wirkte im bewaffneten Widerstand mit. Er und seine Frau halfen, jüdische Kinder zu verstecken. Nach dem Krieg veröffentlichte er über die Zeit ein Buch, mit dem er zum ersten Mal einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde.
Er arbeitete wieder als Nachttaxifahrer, als Journalist und Autor. Ab 1952 war er – zunächst als freier Mitarbeiter, später dann als Angestellter – für das russische Programm des Senders Radio Liberation (später: Radio Liberty) tätig. Dieser Sender wurde vom amerikanischen Kongress finanziert. Er berichtete aus Paris, später aus München. Zuletzt war er der Leiter des russischen Programms in der Zentrale in München – Schwabing. Er starb im Dezember 1971 in München an Lungenkrebs.
Gasdanow wird einer Gruppe junger, russischer Emigranten, dem „Russki Montparnasse“ zugerechnet, die sich in den 1930er Jahren vom Prosastil der russischen Literatur des 19. Jahrhunderts abwandten und sich mehr an Proust, Kafka, Gide, Joyce orientierten und Freud verehrten.
Er veröffentlichte, neben seiner journalistischen Arbeit, neun Romane und 37 Erzählungen. Sie erschienen in russischen Emigrantenverlagen. Er geriet allerdings schnell in Vergessenheit. In den 1990er Jahren, mit dem Zerfall der Sowjetunion, wurde er als Entdeckung gefeiert und sein Werk einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Im deutschen Sprachraum erschienen erst ab 2012 Werke von ihm, beginnend mit seinem Roman „Das Phantom des Alexander Wolf“.
„Vor einigen Tagen erblickte ich während der Arbeit, tief in der Nacht, auf der zu dieser Stunde völlig menschenleeren Place Saint-Augustin einen kleinen Karren von dem Typ, wie ihn gewöhnlich Invaliden benutzen. …. Der Karren bewegte sich unglaublich langsam, wie im Traum, umfuhr den Kreis vieleckiger Leuchten und begann, den Boulevard Haussmann hinaufzurollen. Ich näherte mich, um ihn mir genauer anzusehen; eine vermummte, winzig kleine Greisin saß darin; man sah nur ihr dunkles, verschrumpeltes Gesicht, fast nicht mehr menschlich, und eine magere Hand von derselben Farbe, die mühsam die Stange bewegte.“ So beginnt das Buch und so gerät der Ich-Erzähler, ein Taxifahrer und russischer Emigrant, in die Geschichte dieser Greisin und die vieler anderer nächtlicher Gestalten. Er fühlt sich ebenso abgestoßen wie angezogen von diesen Menschen der Nacht, den Verrückten, den Alkoholikern und Halbweltdamen. Immer tiefer gerät er in ihre Geschichten und Lebenswelten und es fällt ihm immer schwerer, die Distanz einzuhalten, zu der er sich gezwungen hatte. In gewisser Weise ähneln sie in ihrer Armut und Verzweiflung seinem eigenen Leben. Was heißt „Leben“ unter diesen Bedingungen? Was ist, kann der Sinn des Lebens sein, zumal dieses Lebens in Armut und Verzweiflung? Die Fragen treiben den Ich-Erzähler um. Und so fährt er allnächtlich durch Paris, erzählt von seinen Begegnungen mit den Ärmsten der Armen, nimmt den Leser/die Leserin mit auf seine Reisen durch die Stadt, durch sein Leben und das der Menschen, die ihm dabei begegnen. Und so wenig er sich ihnen entziehen kann, so wenig können Leser und Leserinnen von heute sich ihm und seinen Fahrten durch die Dunkelheit entziehen. Und so folgen sie ihm auf seinen nächtlichen Wegen und werden dabei an die eigenen Nachterfahrungen erinnert. Eine gute Gelegenheit, sich ihnen zuzuwenden. Dunkelheit ist nicht gleich Dunkelheit Eine Kollegin schenkte mir das Buch mit den Worten: "Ich glaube, du kannst etwas damit anfangen." Da hatte sie Recht. Es ist ein Buch, das man immer wieder lesen kann. Nächtliche Wege sind es, auf denen man sich bewegt, ja. Doch irgendwie ist die Dunkelheit nicht nur dunkel. "Auch Schatten leuchten in schwärzrer Umgebung" sagt Joachim Ringelnatz in seinem Gedicht "Im Weinhausgarten". Und manchmal sieht man in der Dunkelheit besser als im Hellen. Vor allem kommt zum Vorschein, was sonst immer verdeckt wird, zugedeckt, nicht wahrgenommen, verdrängt wird. Was ist mit einer moralischen Orientierung? Gibt es sie? Sich auf diese Fragen einzulassen lohnt sich. Ein gutes Geschenk hat mir meine Kollegin gemacht. Weitere Bücher von Gaito Gasdanow: Das Phantom des Alexander Wolf (2012); Ein Abend bei Claire (2014); Die Rückkehr des Buddha (2016); Glück (Hander Box, 2016) Hanser - 2018 - Buch |