1094 Ott,, Karl-Heinz Karl-Heinz Ott – Hölderlins Geister | Karl-Heinz Ott (* 14. September 1957 in Ehingen (Donau) bei Ulm) ist ein deutscher Schriftsteller, Essayist und literarischer Übersetzer. Er schreibt sowohl Essays als auch Romane und Werke für die Bühne und erhielt diverse Preise für sein Schaffen, u.a. den Johann-Peter-Hebel-Preis und den Wolfgang-Köppen-Preis. Nachdem ich Rüdiger Safranskis Hölderlin-Biographie gelesen hatte, entdeckte ich den Essay von Karl-Heinz Ott. Der kam mir gerade recht. Im Grunde lohnt es sich, zuerst Safranskis Buch zu lesen und im Anschluss daran den Essay von Ott. Ott liefert nicht nur eine Biographie des Dichters, sondern setzt sich sehr kritisch mit ihm auseinander und mehr noch mit dessen Nachfahren im 20. Jahrhundert und deren Vereinnahmung des Toten für ihre eigenen Ziele, Zwecke und Ideologien. Das ist sehr fachkundig vorgetragen, teilweise mit beißender Ironie, die dem Buch aber eine ganz eigene Würze gibt. Man spürt den Zorn des Autors, der die wirklichkeitsfremden, verstiegenen Worthülsen aufdeckt, teilweise von Hölderlins selbst stammend, dann wieder von seinen Verklärern, die alle ihre eigenen Süppchen kochen und wiederum anderen, noch schlimmeren, in die Hände spielen. Seien sie von rechter wie von linker Seite, seien sie Dichter und Denker (Philosophen) - Hölderlins Geister verwirren die Geister der Intellektuellen des 20. Jahrhunderts. Als wäre dieses nicht schon verwirrt genug gewesen. Wie viel Banales kommt hochtragend daher, aufgewertet durch eine überhöhte Dichtersprache, die dann begeistert, weil zumeist unverständlich, aufgegriffen wird. Wie überhaupt das Raunen und Rauschen im Dichterwald einhergeht mit der unverständlichen und darum umso vieldeutigeren Tiefe. Wie leicht diese „Tiefe“ instrumentalisiert werden kann bzw. worden ist, das zeigt Ott glänzend und kenntnisreich. Ott beschreibt kritisch die Persönlichkeit Hölderlins, seine hochfahrenden Pläne und sein Scheitern auf allen Gebieten. Er lässt ihm weder seine Selbstüberschätzung durchgehen noch sein Selbstmitleid. Er fasst ihn recht hart an. Das ist aber für mich vor allem verständlich wegen der unverhältnismäßigen Wertschätzung, die dem Dichter im 20. Jahrhundert zuteil wurde. Zudem sagt die durchaus einiges über diese Verehrer des Dichters aus. Ein besonderes Verdienst dieses Buches ist, dass sie Hölderlins Spätwerk nicht in Bausch und Bogen ablehnt, sondern zeigt, dass vielleicht gerade dort einiges Schöne und Gute zu finden ist. Hier kann ein Hölderlin begegnen, der nicht in eisigen ideellen Höhen verloren gegangen ist, sondern der auf seinen Spaziergängen endlich findet, was schon Goethe ihm empfohlen hatte: Sich Gegenständen zu widmen, die näher liegen und die zu besingen. Diese Texte würde ich mir gerne einmal näher anschauen. Spannend und lehrreich Ott erzählt mit Witz und Verve. Spannend, vergnüglich, überraschend und richtig gut geschrieben. Carl Hanser - 2019 - Buch |