Wie offen soll, kann, darf das Offene sein? Was ist, wenn man sich darin verliert? Hölderlin ist mir immer fremd geblieben. Es gibt einige Gedichte von ihm, die ich mag bzw. sehr mag (An die Parzen z.B.). Aber in der Regel ist mir seine Sprache viel zu verstiegen, unverständlich und umständlich und seine Griechenlandliebe und -Verklärung vollends befremdlich. Doch 2020 ist ein Erinnerungsjahr für den 1770 geborenen Dichter. Also dachte ich, schau doch mal, was es an Werken über bzw. zu ihm gibt. So stieß ich auf Rüdiger Safranskis Buch.
Ich kenne verschiedene Bücher dieses Autors und war immer sehr angetan. Bei diesem Buch bin ich ein wenig gespalten. Einerseits ist es fundiert, sachlich und informativ. Ich habe viel über Hölderlin gelernt – seine Herkunft, seine Familie, die schwierige Beziehung zur Mutter, zur Religion, seine Träume und Pläne, seine Höhenflüge und sein Scheitern. Da ich nicht so viel über den Dichter wusste, war das nicht weiter verwunderlich. Auch einige Texte hat Safranski mir näher gebracht, wie Passagen aus „Brot und Wein“. Das ist wirklich eine Bereicherung.
Andererseits fehlt mir eine kritischere Auseinandersetzung mit der Wirkung des Dichters auf seine Nachfahren vor allem im 20. Jahrhundert. Es ist ja gar nicht so einfach nachzuvollziehen, wieso ein Dichter aus dem 18./19. Jahrhundert, der von vielen seiner Zeitgenossen schon früh für verrückt gehalten wurde, später für bestimmte Kreise, literarisch wie politisch, so wichtig bzw. zum Mythos verklärt werden konnte.
Von diesen Kritikpunkten abgesehen ist das Buch sehr lesenswert und lesbar.
Wer an einer sehr kritischen Auseinandersetzung mit dem Dichter interessiert ist, dem empfehle ich das Buch/den Essay von Karl-Heinz Ott – Hölderlins Geister, Hanser 2019. S. meine Besprechung dort