Buch-Welt-Musik
Medium Rezension
1090
Stanišic , Saša
Sasa Stanisic - Wie der Soldat das Grammofon repariert
Saša Stanišic - Wie der Soldat das Grammofon repariert
Ein Erstlingswerk, dem man das nicht anmerkt
zur Biographie s. Rezension zu Saša Stanišics Buch "Herkunft"
Wie aus Frieden Krieg wird
Viele Jahre haben in Višegrad, einer Stadt an der Drina im Osten Jugoslawiens, Christen und Muslime, Bosnier und Serben friedlich miteinander gelebt. Aber nun machen sich Nationalismus und Hass bemerkbar und breit, bis der Krieg mit seiner Gewalt und seinen Exzessen über die Menschen hereinbricht.
Aleksandar, 14 Jahre alt, versteht nicht so recht, was da geschieht. Eben spielte er noch mit seinen Kameraden aus allen Schichten der Bevölkerung. Eben noch erzählte er von seinen beiden Großvätern, den Großmüttern, von den vielen Festen und den verrückten Verwandten und Nachbarn (wenn auch liebenswert verrückt), eben noch war die Mutter eine ganz normale Jugoslawin, nun ist sie Bosnierin und gefährdet. Eben noch ging Aleksandar zur Schule und sinnierte über Tito, seinen Tod, die marxistische Lehre und andere wichtige Themen nach – wie Fußball beispielsweise.
Aber nun ist alles anders. Das Haus ist besetzt von Soldaten, die Menschen müssen ihnen Platz machen in ihren Häusern, sie selbst suchen in den Kellern der Häuser Schutz vor dem näher rückenden Artilleriefeuer. Und als die Soldaten gehen, folgen ihnen Freischärler. Und die sind viel schlimmer als die Soldaten. Aleksandar und sein Freund Edin begreifen gar nicht, was passiert. Und so sehen sie diese Zeit zunächst noch als großes Abenteuer. Das versetzt ihre Eltern in Angst, denn die Jungen können absolut nicht übersehen, was ihre Unvorsichtigkeit und Abenteuerlust, aber mehr noch ihr Nichtverstehen bedeuten kann. Immer schwieriger und gefährlicher wird das Leben in der Stadt. Also beschließen Aleksandras Eltern, zunächst nach Serbien, nach Belgrad zu fliehen. Dort – bei Verwandten sind sie in relativer Sicherheit, obwohl dies für die Mutter als Bosnierin nicht ganz gilt. Später fliehen sie aus Belgrad über Ungarn nach Deutschland
Aleksandar lebt sich hier ein. Aber er kann seine kleine Freundin Asija nicht vergessen. Was ist aus ihr geworden? Der erwachsene Aleksandar versucht, sie zu finden. Asija ist Arabisch und bedeutet Frieden. Als Erwachsener kehrt Aleksandar nach Bosnien zurück. Alles ist fremd, die Spuren des Krieges sind überall zu sehen. Die Menschen, nach außen teilweise gut gestellt, scheinen nach innen immer noch hart und die Schrecken des Erlebten leben als Trauma in ihnen weiter. Hass ist allgegenwärtig. Die Erfahrung der Realität macht Aleksandar zu schaffen. Nichts ist mehr, wie es war.
Wie nähert man sich seinen Traumata?
Vorsichtig, würde ich sagen, sehr vorsichtig, ausweichend, das Unerhörte umkreisend, sich langsam an das Eigentliche, das Unaussprechliche, nicht zu Verstehende, den Schrecken und den Terror herantastend. Und so beginnt das Buch mit dem Guten und Schönen von Aleksandars Kindheit, ja fast idyllisch. Denn es gilt, sich zu wappnen, für das, was im Hintergrund lauert und bearbeitet werden will, wenn man sich schon erinnert bzw. erinnern muss. Wenn man etwas retten, etwas bewahren will. Und das ist Aleksandars Kindheitsparadies mit einer Familie, die das Kind liebt, mit Freunden, mit denen man die Umwelt erkunden kann. Alles ist Spiel, das Leben gut. So kann es weitergehen. Aber dann bricht der Krieg über die Menschen herein. Und alles wird anders. Der Ton ändert sich, langsam, so, wie die Menschen nicht verstehen, was geschieht, aber damit leben müssen.
Wie man sich mit Phantasie und Erzählen dem Trauma stellt
Saša Stanišic erzählt diese Geschichten mit überbordender Phantasie, Freude am Erzählen, am Fabulieren, dass es mitreißt. Man fühlt immer mit den Protagonisten und dem, was ihnen geschieht. Das ganze Buch durchzieht diese Suche nach dem Verlorenen, nach dem Paradies der Kindheit, nach den Spuren des früheren Lebens. Erinnerung ist der Schlüssel und sich erinnernd das Verlorene wieder zurückholen, mit Hilfe der Phantasie die Gräben zu überbrücken oder es zumindest zu versuchen. Und im Schreiben des Gesehenen – des Realen und des Phantasierten – eine neue Heimat zu finden. Erzählen als Mittel, eine neue Heimat zu finden, die alte nicht zu vergessen, sondern zu bewahren. Dies alles gelingt Saša Stanišic. Er malt sein Bild mit Worten und allen Farben - mit Sepiafarben und schrillen, grellen Tönen - Schönes, Gutes und Schlimmes, Schlechtes sind alles mit auf dem Bild. So ist etwas sehr Kostbares entstanden, bewegend und berührend. Und was es mit dem Titel auf sich hat: Nun, wie repariert ein Soldat im Krieg schon ein Grammofon?
BtB - 2008 - Buch
- Impressum - @Copyright Gabriele Strahl, Neuss - Datenschutzerklaerung -