Buch-Welt-Musik
Medium Rezension
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Stanšic, Saša
Sasa Stanisic - Herkunft
Saša Stanišic - Herkunft
Woher wir kommen, wohin wir gehen, was bleibt - und was alles dazwischen liegt
Saša Stanišic, geboren 1978 in Višegrad im damaligen Jugoslawien, heute Bosnien, kam als 14jähriger (also 1992) nach Deutschland. Mit seinen Eltern war er vor dem Bürgerkrieg und seinen Gräueln geflohen. In Deutschland ging er zur Schule, wiewohl er zunächst kein Wort Deutsch sprach. Dennoch lernte er die Sprache sehr schnell und machte 1997 das Abitur. Danach studierte er in Heidelberg Deutsch als Fremdsprache und Slawistik. Seine Eltern wanderten 1998 in die USA aus, weil sie hier keine Aufenthaltsgenehmigung bekamen, ihr Sohn konnte in Deutschland bleiben. Schon während seiner Schulzeit hatte er geschrieben und während des Studiums entstanden immer mehr literarische Texte. 2004/2005 nahm er ein Studium am Deutschen Literaturinstitut Leipzig auf. Seine Arbeiten fanden Aufmerksamkeit, die ersten Preise stellten sich ein. Sein Erstlingswerk „Wie der Soldat das Grammofon repariert“ (2006 erschienen) war überaus erfolgreich und wurde in 30 Sprachen übersetzt. Mit diesem Roman heimste er zahlreiche Preise ein. Weitere Romane folgten: 2014 – Vor dem Fest, 2016 – Fallensteller, 2019 – Herkunft. Alle Romane waren und sind sehr erfolgreich, bekamen Preise. Für „Herkunft“ bekam er 2019 den Deutschen Buchpreis.
Herkunft - 2019
In diesem Buch erzählt Saša Stanišic von seiner Herkunft, seiner Kindheit in Višegrad, seiner bosnischen Mutter, dem serbischen Vater und der Großmutter, die er so sehr liebt. Er erzählt von Familienfesten, verrückten Zeitgenossen, dem leisen, aber unaufhaltsamen Verfall der Gesellschaft, des Staates, von zunehmendem Fanatismus, von Hasstiraden aller gegen alle. Višegrad liegt im Osten Bosniens, nahe der Grenze zu Serbien. Dort spürte man die Veränderungen sehr deutlich. Dann brach der Krieg über die Menschen dort herein und die Familie konnte nicht mehr bleiben. Die Eltern entschließen sich, erst Zuflucht in Belgrad bei Verwandten zu suchen. Als es dort auch unsicherer wird, fliehen Mutter und Sohn nach Deutschland. Der Vater kehrt zunächst nach Bosnien zurück wegen der dort zurück gebliebenen Großmutter. Die nächste Station für Mutter und Sohn ist Heidelberg. Ein Zufall, weil dort ein Onkel des Autors lebt. Der Vater kommt später nach Deutschland. Aus dem zunächst auf Wochen und Monate angelegten Aufenthalt wird ein Dauerzustand, weil an eine Rückkehr nicht zu denken ist. Die Familie muss sich einrichten, was vor allem dem Sohn zunehmend gelingt.
Wie das alles gekommen ist, was geschah, was verloren ging und was dafür neu gewonnen wurde – eine Heimat wurde genommen, eine andere aufgebaut, ein altes, dennoch schönes Leben verlassen, das Abenteuer eines neuen begonnen mit allen Höhen und Tiefen, Hoffnungen und Enttäuschungen – das erzählt Saša Stanišic überaus intensiv, wehmütig, traurig, aber auch mit Humor, Witz und mit viel Gespür für das Absurde des Geschehens in seinem Herkunftsland. Schreibend erinnert er sich, holt sich zurück, was verloren, vergessen schien. Und während er sich erinnert, beginnt seine Großmutter zu vergessen, verliert ihre Erinnerungen. Also holt der Enkel sich und ihr alles zurück. Und wer will entscheiden, was tatsächliches Geschehen ist und was in der Phantasie erinnert wird? Erinnern ist Vergegenwärtigung und damit wohl auch Neuerschaffen. Und dann: Welches Ende hätten Sie gern? Saša Stanišic beginnt ein kleines Spiel mit den eigenen Sehnsüchten und denen seiner Leser und Leserinnen. Sie entscheiden, wie das Buch endet. Ob es endet.
Literatur, wie sie sein soll
Ich hatte gehört, dass er den Deutschen Buchpreis für „Herkunft“ bekommen hatte. Eine alte Dame in einer Buchhandlung hatte es in der Hand, schlug es auf, schaute hinein, las kurz und gab es mir mit den Worten: „Das ist nichts für mich!“ Ich wurde neugierig, schaute selbst auf die Stelle, die ihr missfallen hatte, und musste lachen. Eine WhatsApp-Nachricht konnte ich da lesen. Es ging um seine Großmutter. Mir gefiel die Stelle außerordentlich. Ich fand das absolut witzig, aber auch berührend. „Das Buch muss ich haben!“ Und so steht es bei mir im Bücherschrank. Ich habe es sofort gelesen und das wird nicht das letzte Mal gewesen sein. Saša Stanišic schreibt brillant, phantasievoll und sein Umgang mit der deutschen Sprache ist unglaublich kreativ. Das macht Spaß, berührt und macht neugierig, mehr von diesem Schriftsteller zu erfahren. So viel Verstand, so viel Witz, so viel Phantasie. Ans Herz greift es auch, aber ganz ohne Sentimentalität. Und alle diese Vorzüge auch noch auf Deutsch, bei deutscher Literatur. O Mann, geht doch.
Luchterhand - 2019 - Buch
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