Buch-Welt-Musik
Medium Rezension
1087
Kaufmann, Jonas
Jonas Kaufmann – Wien
Ádám Fischer
Wiener Philharmoniker
Rachel Willis-Sørensen, Sopran; Michael Rot, Piano
Jonas Kaufmann, deutscher Sänger (Tenor "mit baritonaler Färbung")
Der zur Zeit berühmteste Tenor der Welt.
Jonas Kaufmanns „Wien“
Das erste Gebot für das Hören von Musik lautet: Du sollst nicht vergleichen! Diesen Satz müsste man vielen so genannten Musikliebhabern ins Stammbuch schreiben. Warum schreibe ich das? Na klar, Jonas Kaufmann singt Lieder und Arien, die vor ihm - !Überraschung! – schon viele Künstler gesungen haben. Und natürlich kann man in Foren und Rezensionen allerlei zu diesem Thema finden, auch und gerne, wenn es um Jonas Kaufmann geht. Wer schon alles anders - und vor allem besser - als er gesungen hat, wer alles nicht zu sein ihm schon vorgeworfen wurde, das könnte einen gut beschäftigen. Aber hinfort damit. Man soll sich nicht zu sehr mit Absurditäten beschäftigen!
Vorab: Ich bin mit diesen Liedern groß geworden, manchmal gegen meinen Willen, aber meine Eltern hörten sie gerne. Die Lieder waren nie so ganz meine Musik, die Filme dazu auch nicht, wiewohl ich sie alle gesehen habe – es gab vor Zeiten noch nicht so viele Ausweichprogramme. Zu viel Wien-, Weib-, Wein- und Walzerseligkeit, schmalzig, sentimental, vergangenheitsbetrunken. Ich kenne viele Tenöre, die die Stücke gesungen haben. Allen voran Fritz Wunderlich, von dem ich sie – wenn überhaupt – am liebsten gehört habe und höre. Ja, bis heute ist er in meiner persönlichen Hall of Fame der wichtigste Sänger, dessen Stimme ich seit meiner Kindheit wie keine andere liebe.
Jonas Kaufmnn und Wien - passt scho'
Nun zur neuen CD „Wien“ von Jonas Kaufmann. Musste ich sie haben? Je öfter ich sie höre, umso mehr tendiere ich zu einem „Ja“, schön, dass er das gemacht hat. Ich könnte zwar auf „Wiener Blut“ oder das Stück aus der „Fledermaus“ verzichten (wiewohl ich die „Fledermaus“ sehr mag), irgendwie passen sie nicht so recht im Kontext der CD. Dafür sind mir die anderen Stücke umso lieber. Und seine Stimme? Sie ist nun mal seine eigene, eigen und einzigartig. Man mag sie oder man mag sie nicht. Ich mag sie, auch weil sie so eigen ist, unverwechselbar, wandelbar, keine leere, sterile Schönheit, immer lebendig, nicht perfekt, interpretatorisch spannend und tiefgründig, voll Leidenschaft und Emotion.
Es macht Spaß, die Stücke mit Jonas Kaufmann noch einmal und ganz neu zu entdecken. Er hat wahrscheinlich die meisten Interpreten vor ihm im Kopf, versteht es aber, ganz eigene Akzente zu setzen. Viele Lieder geraten ihm zu Kabinettstückchen, leicht ironisch-liebevoll (Wien, Wien nur du allein), wehmütig (Es wird im Leben dir mehr genommen als gegeben, Du wärst für mich die Frau gewesen), seidenweich (Lippen schweigen, Komm in die Gondel), spitzzüngig, witzig, sehnsüchtig (In einem kleinen Café in Hernals, Ich muss wieder einmal in Grinzing sein, Im Prater blühn wieder die Bäume, Draußen in Sievering), empört und traurig-verletzt (Zwei Märchenaugen). Der Wiener Dialekt gelingt ihm und ich höre ihm gerne zu. Er präsentiert die Stücke mit viel Humor, Witz, Gefühl und Understatement. Ein Highlight für mich? „Ich muss wieder einmal in Grinzing sein“ – das singt er mit solchem Genuss, er ist ganz in diesem Stück, er präsentiert es wie ein kleines Theaterstück, vor allem die zunehmende Weinseligkeit der Figuren, von denen gesungen wird, macht unbändigen Spaß."Der Tod, das muss ein Wiener sein" ist manchem vielleicht nicht böse, nicht bissig genug dargeboten. Aber ich bin's zufrieden. Schön auch „Heut‘ ist der schönste Tag in meinem Leben“. Ich weiß, Josef Schmidt hat das gesungen ebenso wie „Es wird im Leben dir mehr genommen“ – ich kenne seine Geschichte - und ich kenne wirklich alle Stücke von der CD. Wer sich auf sie einlässt, wird nicht enttäuscht werden.
Jonas Kaufmann hat Glück, großes Glück. Denn die Wiener Philharmoniker mit Dirigent Ádám Fischer lassen keine Wünsche offen. Sie sind die ideale Besetzung für die Stücke. Sie haben's einfach drauf, den "Wiener" Ton. Märchenhaft schön.
Große Künstler vertragen sich, nur kleine streiten
In meiner persönlichen Hall of Fame gibt es neben Fritz Wunderlich sehr viel Platz für Jonas Kaufmann. Und ich höre ihnen gerne bei den Liedern aus Wien zu. Ich habe eine Playlist für mich mit beiden Künstlern und diesen Stücken zusammengestellt. Einmal Fritz Wunderlich, einmal Jonas Kaufmann. Sie vertragen sich sehr gut. Ich vergleiche sie ja auch nicht. Ich nehme sie, wie sie sind. Und entdecke immer wieder Neues, eine Nuance, eine Emotion, eine besonders gelungene Phrasierung. Vielleicht sollte ich mal nach Wien fahren, ohne große Erwartungen, einfach so.
Sony Classical - 11.10.2019 - Audio-CD
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