Buch-Welt-Musik
Medium Rezension
1082
Vargas Llosa, Mario
Der Hauptmann und sein Frauenbataillon
Originalausgabe erschienen 1973
Übersetzerin: Heidrun Adler
Mario Vargas Llosa, geboren 1936 in Arequipa/Peru ist einer der führenden lateinamerikanischen Schriftsteller. Er arbeitet u.a. als Journalist und Essayist. Seit 1993 hat er auch die spanische Staatsbürgerschaft. Von Jugend auf betätigte er sich politisch, war Vorsitzender einer neuen liberalen Partei in Peru, 1990 bewarb er sich um das Amt des Präsidenten, unterlag aber in der Stichwahl Alberto Fujimori. 2010 bekam er den Nobelpreis für Literatur. Aufsehen erregte er mit seinem Erstlingswerk „Die Stadt und die Hunde“, in dem er die verschiedenen Orts- und Zeitebenen des Romas permanent nebeneinander reihte, so dass der Leser/die Leserin bei fast jedem Satz überlegen muss, wer wo mit wem spricht. Diese Desorientierung der Leser sollte – so Vargas Llosa – der Desorientierung der handelnden Personen entsprechen. Dieses Stilelement verwendet er mehr oder weniger ausgeprägt in seinen folgenden Romanen, die teilweise dem Genre des Kriminalromans, des Politischen Thrillers, des Historischen Romans oder der Komödie zuzurechnen sind. Seine Lebensgeschichte ist geprägt von seinen Erfahrungen in Peru, der Gewalt innerhalb der Gesellschaft ebenso wie der allgemeinen Korruption auf den verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen. Sein Thema ist auch die teilweise rassistische Gesellschaftsordnung in der Gesellschaft Lateinamerikas.
Der Hauptmann und sein Frauenbataillion
Eine wahrlich verrückte, abstruse Geschichte: Hauptmann Pantaleon, ein untadeliger, etwas langweiliger Soldat, erstarrt in Routine, bekommt einen Geheimauftrag von seiner militärischen Führung, der ihn seinem bürgerlichen zufriedenen (mehr oder weniger) Dasein mit braver Ehefrau entreißt und ihn in die unmöglichsten Affären verstrickt. Bald weiß er nicht mehr, was richtig oder falsch ist, wo sein ruhiges Leben geblieben ist und wie das alles zu dem kam und vor allem, wie es weitergehen soll. Hauptmann Pantaleon findet sich im schwülheißen Dschungel des hinteren Amazonas-Gebietes wieder. Die Soldaten fallen mangels anderer Gelegenheiten über brave Bürgermädchen und -Frauen her. Deren Mütter und Väter und Ehemänner beschweren sich bei der Militärführung, die sich daraufhin ziemlich unziemlich kreativ verhält. Die Wahl für die Durchführung dieses unziemlichen Unternehmens fällt auf den verblüfften Hauptmann und bisherigen Mustergatten Pantaleon, der sich dann allerdings mit Leib und Seele und sehr akribisch dem Projekt verschreibt: Pantaleon soll einen „weiblichen Dienst“ einrichten, der für die erotisch geplagten Soldaten Entlastung schaffen soll. Dazu rekrutiert Pantaleon die unterschiedlichsten Frauen aus allen Bevölkerungsschichten, alle Freiwillige im Dienst einer guten Sache. Bald jedoch entgleitet Pantaleon zunehmend die Angelegenheit, aber aus völlig anderen Gründen, als der/die LeserIn im Vorfeld annehmen möchte.
Um das Ganze weiter zu verwirren, mischt sich eine religiöse Bewegung dauernd ein, deren Mitglieder sich mit Vorliebe selbst kreuzigen und die den Untergang des bestehenden Systems predigen. Die Wege der sehr unterschiedlichen Gruppen kreuzen sich immer wieder und auch andere werden immer tiefer in die Sache hineingezogen.
Viel zu tun also für Hauptmann Pantaleon und sein Frauenbataillion.
Verrückt, absurd und sehr menschlich
In diesem Buch verwendet Mario Vargas Llosa noch einmal seine Technik der Simultananordnung der Handlungsstränge. Alle paar Sätze fragt man sich, wer da mit wem spricht und an welchem Ort das Ganze stattfindet. Hier ist das Ratespiel allerdings sehr vergnüglich und unterhaltsam. Die verrückte Geschichte mit ihren aberwitzigen Wendungen macht viel Spaß, entführt in den schwülheißen Dschungel Amazoniens und in die ebenso schwülen Gedanken, Phantasien und Empfindungen diverser Leute. Viel Ironie ist im Spiel, Witz und Kritik am Machismo Lateinamerikas sowie der Männergesellschaft überhaupt, aber auch eine Abrechnung mit dem heuchlerischen Bürgertum, das bei anderen anprangert, was es selbst gerne täte. Die vielen ebenso absonderlich scheinenden religiösen Gruppierungen komplettieren das Panoptikum des Buches. Und Hauptmann Pantaleon wird zunehmend sympathisch und menschlich, je mehr er sich verliert in seinen Berechnungen und Überlegungen.
Suhrkamp Taschenbuch - 1984 - Buch
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