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Medium Rezension
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Sayers, Dorothy L.
Mord braucht Reklame
Aus dem Englischen von Otto Bayer - Titel der englischen Erstausgabe: Murder Must Advertise, 1933
Ein adeliger Detektiv und die Folgen
Lord Peter Wimsey ist Dorothy Sayers (englische Schriftstellerin, 1893-1957) erfolgreichste Figur. Zu Anfang ist er ein reicher Müßiggänger, Snob, Partylöwe und Tausendsassa, der sich als Hobby-Detektiv dem Lösen von Kriminalfällen widmet. Ursprünglich waren die Geschichten von Sayers erdacht worden, um sich mit ihnen etwas Geld dazu zu verdienen und ganz in der Tradition der Crime-and-Mystery-Stories konzipiert als eine Art Rätselsportaufgabe, die ein intellektuelles Vergnügen bietet. Dazu gehörten verzwickte Ausgangssituationen, verschlossene Räume, in denen ein Mord stattgefunden hat, wie, wer, wo, wann und warum – who done it? Diese Fragen clever und klug aufzuwerfen, viele falsche Fährten zu legen, den Leser/die Leserin intelligent zu unterhalten, am Ende die überraschende Lösung zu bieten, auf die nur die cleversten Spürnasen kommen, das gehörte zum Spiel und war das eigentliche Spiel. So arbeitete auch Agatha Christies Hercule Poirot, so Sherlock Holmes und die anderen Stammväter der Crime-Novels spätestens seit Edgar Allan Poes „Die Morde in der Rue Morgue“.
Dennoch warfen Kritiker Dorothy Sayers eine Art Eskapismus vor, sich ihren Traummann in der Figur Lord Peters geschaffen und ihm eine Traumbiographie erdichtet zu haben. Das mag teilweise stimmen. Aber das tut der Figur und den Geschichten keinen Abbruch. Lord Peter ist mit Absicht so konzipiert wie er sich zu Anfang darstellt, doch im Laufe der Zeit entwickeln sich die Bücher immer mehr zu Kriminalromanen mit gesellschaftlichem Hintergrund, psychologischer Grundierung und exzellenter Charakterzeichnung. Sayers Held, Lord Peter, wird zu einer ernstzunehmenden Persönlichkeit. Sie gibt ihm mit wachsendem Erfolg ihrer Bücher eine Biographie mit, einen Stammbaum, eine Familie, einen gesellschaftlichen Hintergrund. Auch seine Erlebnisse während des ersten Weltkrieges werden thematisiert. Sein ehemaliger Untergebener im Krieg, Mervyn Bunter, wird sein Butler. Aber er ist viel mehr als das.
Moderne Krimischriftstellerinnen wie Elizabeth George und andere berufen sich auf Dorothy Sayers, die als eine der ersten mit ihren Romanen eine andere Art der Kriminalliteratur präsentierte.
Inhalt
Lord Peter Wimsey ermittelt undercover in einer renommierten Werbeagentur. Ein Mitglied der Belegschaft ist eine Treppe hinunter gestürzt. War es ein Unfall oder Mord? Ein anonymes Schreiben, das kriminelle Machenschaften andeutet, die von dem Unternehmen ihren Ausgang haben sollen, stürzt den Leiter der Agentur in große Besorgnis. Durch Vermittlung kommt Lord Peter an diesen Job. Er wird Werbetexter. Für jemand wie ihn, Universitätsausbildung, wortgewandter Salonlöwe und Liebhaber von Shakespeare und anderen literarischen Größen kein Problem. Allerdings hat die Werbebranche auch ihre Tücken. So muss man bei der Formulierung der Texte ein bisschen aufpassen. Denn offenes Lügen ist nicht erlaubt. Schnell bekommt Lord Peter Kontakt zu den Angestellten der Agentur, dabei besonders zu Mr. Ingleby und Miss Meteyard, beide scharfzüngig, unangepasst und sehr klug. Lord Peter mausert sich zu einem professionellen Werbetexter und die Arbeit macht ihm sogar Spaß.
Weniger Spaß bereitet der Kriminalfall. Was geschah wirklich? Was hat es mit den Machenschaften auf sich? Geht es um Rauschgift? Und wie viele Personen sind involviert? Lord Peter muss alle Kräfte mobilisieren, auch die seines Schwagers, Chiefinspektor Parker, um der Sache auf den Grund zu gehen und den/die Täter zu finden. So spaßig die Arbeit in der Agentur sein mag, das Ende ist für Lord Peter schmerzhaft.
Fazit:
Dieses Buch ist eines der unterhaltsamsten von Dorothy Sayers. Ihre Erfahrungen in einer Werbeagentur kommen ihr hier zu Gute. Die Szenen, die dort spielen, sind hinreißend, erinnern an ein Theaterstück. Viele Dialoge, witzige Situationen, eigenwilliges Personal. Lord Peter ist in seinem Element. Selten ist er so animiert, denn die Menschen hier sind Meister der Sprache und der Sprüche. Sayers legt ein rasantes Tempo vor, das sie bis zum Ende im furiosen Cricket-Match durchhält. Die Personen sind gut gezeichnet, wirken absolut lebendig. Gleichzeitig ist das Stück ein Roman über die englische Gesellschaft, über die Klasse der Gebildeten, der Betuchten und der ärmeren Schichten. Eine Parabel über die Verführbarkeit von Menschen, ihrer Sehnsucht, auch zu den Reichen und Schönen zu gehören, über das Leben von Kindern reicher Eltern, die sich mit Rauschgift, Alkohol oder exzessiven Orgien über Langeweile in ihrem Leben und der Sinnlosigkeit ihrer Existenz hinweg täuschen. Und über Menschen, die nicht durch eigene Schuld, aber durch falsche Entscheidungen in Situationen geraten, denen sie nicht gewachsen sind.
In einigen Passagen sinniert Lord Peter über Sinn und Zweck und Auswirkungen der Werbung. Werbung soll Menschen dazu bringen, etwas zu kaufen, was sie nicht brauchen, was ihnen nichts nützt, sie im Gegenzug dazu verführt, über ihre Möglichkeiten zu leben. Sehnsüchte werden geweckt, die in die Sucht nach mehr münden. Da liegt ein Vergleich mit der Wirkung von Rauschgift nahe.
Lord Peter ist in einigen Passagen noch einmal der Alleskönner und Tausendsassa. Doch spielt er diese Rolle mehr als dass er sie noch wäre. Er begegnet sozusagen seinem früheren Ich. Insgesamt ist er viel nachdenklicher und reifer gestaltet, reflektierter und als Persönlichkeit, die sich mit sich und ihrer Umwelt kritisch auseinandersetzt.
Die Übersetzung von Otto Bayer gefällt mir gerade in den Passagen in der Werbeagentur. Für die vielen coolen Sprüche muss ein Übersetzer eine Entsprechung finden. Das gelingt ihm sehr gut.
rororo TB - 1980 - Buch
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