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Medium Rezension
1070
Sayers, Dorothy L.
Aufruhr in Oxford
Roman / Kriminalroman - Aus dem Englischen von Otto Bayer - Originaltitel: Gaudy Night - Englische Erstausgabe 1935
Zur Person
Dorothy Sayers (1893 – 1957), Tochter eines Pfarrers und Schuldirektors, gehörte zu den ersten Frauen, die an der Universität ihres Geburtsortes Oxford Examen machten. Sie war Lehrerin, arbeitete für zehn Jahre in einer Werbeagentur, veröffentlichte früh religiöse Gedichte und Geschichten. Später ging sie zu Detektivromanen über. Ihre über zwanzig Bücher in diesem Genre gehören zu den Klassikern der Literaturgeschichte. Ihre Geschichten sind in der Regel sorgfältig aufgebaut und recherchiert, bestechen durch psychologische Grundierung und Charakterzeichnung und eine ethische Haltung. Darüber hinaus sind sie sprachlich anspruchsvoll, dabei oft witzig und sehr pointiert. Sayers Gentleman-Detektiv Lord Peter Wimsey avancierte zu ihren Lieblingscharakteren und als sie seiner ein bisschen überdrüssig wurde und andere Literatur schreiben wollte, kam es zu Protesten. Sie fand dann eine alle Seiten versöhnende Lösung für sein Weiterleben.
Inhalt
Die Story ist im Jahr 1935 in England, Oxford, angesiedelt. Harriet Vane, Krimiautorin, wird von ihrer früheren Universität in Oxford zu Hilfe gerufen. Immer wieder tauchen an unterschiedlichen Orten im Frauencollege Schmähschriften auf, die sich gegen das Frauenstudium im Allgemeinen, aber auch gegen bestimmte Professorinnen und Studentinnen richten. In dieser Situation erinnert man sich an Harriet Vane und bittet sie, die schon bei polizeilichen Untersuchungen in der Vergangenheit geholfen hatte, um Rat und Beistand. Sie soll inkognito Ermittlungen anstellen, denn die Universitätsleitung möchte kein Aufsehen erregen, um die Reputation der Universität im Allgemeinen und des Frauenstudiums im Besonderen nicht zu gefährden. Offiziell ist sie an der Universität, um eine wissenschaftliche Arbeit zu schreiben. Im Zuge der detektivischen Tätigkeit muss sie erkennen, dass die Sache immer gefährlicher wird: Zunächst sieht es nach Studentenulk oder den Taten einer Art Poltergeist aus. Doch dann eskaliert die Sache: Studentinnen werden mit Drohbriefen traktiert, eine von ihnen unternimmt einen Selbstmordversuch, ein Mordanschlag wird auf eine Professorin verübt. Auch die Stimmung unter dem Lehrpersonal wird schwieriger, Konflikte brechen auf, es scheint, jede verdächtigt jede. Dennoch gibt es so etwas wie Zusammenhalt unter den Studentinnen und Professorinnen.
Harriet Vane ist immer noch belastet mit ihrer Vergangenheit, die sie dem gesellschaftlichen Aus nahe gebracht hatte. Sie hadert mit sich und ihren Entscheidungen und Lord Peter Wimsey. Er ist der Mann, der sie mit seinem detektivischen Scharfsinn vor dem Schafott (in „Starkes Gift“) bewahrt hat und ihr seitdem in unverbrüchlicher, wenn auch wenig erwiderter, Zuneigung verbunden ist. Ihre persönlichen Konflikte behindern zunehmend ihre Aufgabe. In dieser schwierigen und spannungsgeladenen Situation überwindet sie sich und ihren Stolz und ruft Lord Peter zu Hilfe. Er lässt sie natürlich nicht im Stich und gemeinsam machen sie sich, wie schon in der Vergangenheit, auf die Suche nach dem Täter oder der Täterin.
Was das Buch lesenswert macht
Ich war 19 Jahre alt, als ich „Aufruhr in Oxford“ las. England, Oxford, Frauenstudium, das fand ich interessant. Lord Peter Wimsey begegnete mir hier zum ersten Mal. Das war dann der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.
Obwohl bereits 1935 geschrieben, erscheint es mir mit seinen Themen durchaus aktuell. Bis heute gibt es eine fundamentale Ungleichheit zwischen den Geschlechtern. Zwar hat die feministische Bewegung für Europas Frauen viel bewegt. Doch in vielen Teilen der Welt sind Frauenrechte Utopie. Und auch hierzulande gibt es viel zu tun. Vor allem, wenn jüngere Frauen glauben, alles sei erreicht und sie bräuchten den ganzen frauenbewegten Plunder nicht mehr. Nichts falscher als dieses Denken.
Kritiker des Buches bemängelten, es sei weniger ein Kriminal- als ein Gesellschaftsroman, zumal es kein Mordopfer gibt. In gewisser Weise stimmt das, wenn man postuliert, dass ein Krimi nur dann einer ist, wenn es Tote bzw. Mörder und ihre Opfer gibt. Und wenn man weiterhin fordert, in einem 'richtigen' Krimi dürfe der Plot nicht zu anspruchsvoll oder von gesellschaftlicher Bedeutung sein. Das mag in Zeiten, in denen Krimis als sportliche Rätselaufgaben betrachtet wurden, in etwa zutreffen. Aber heute sieht man das genau andersherum: Reine Rätselaufgaben empfinden LeserInnen nun als zu mager. Ein bisschen Inhalt mit Relevanz darf es dann doch sein.
Insofern ist „Aufruhr in Oxford“ nicht altmodisch. Und heute interessiert die Zeit, in der der Roman spielt, mehr als noch vor einigen Jahren. Weit genug weg von der Jetztzeit, aber nah genug, um sich noch erinnern zu können, wenn man das möchte. Gerade die 1930er Jahre sind im Augenblick von den Medien in den Blick genommen worden.
Aber auch die Themen sind immer noch aktuell: Rollenverständnis Frau – Mann, Rolle der Frau in der Gesellschaft, als Ehefrau und Mutter oder als alleinstehende Frau im Beruf, als Wissenschaftlerin oder Managerin eines Colleges oder anderer Professionen. Wie gehen Eltern mit ihren Kindern um, wie viel Einfluss in der Erziehung ist nötig, ab wo ist er schädlich, weil nur die eigenen Vor- und Misslieben bzw. Vorurteile weitergegeben werden? Was bedeuten Integrität und eigene Vorstellungen vom Leben in einer Partnerschaft? Wie wichtig ist mir, dass mein Partner in unserer Beziehung gleichwertig und gleichberechtigt ist – nicht nur als Lippenbekenntnis, sondern als gelebte Wertvorstellung? Wie wichtig ist Integrität in der Wissenschaft?
Diese und andere Fragen werden teils diskutiert von den Protagonisten und ihrem Umfeld, teils am Beispiel aufgezeigt. Nicht in schulmeisterlichem Ton, sondern verständlich und durchaus mit Humor und Wortwitz. Natürlich spielt dann doch die sich endlich, nach fünfjähriger Wartezeit für Lord Peter, anbahnende Liebesgeschichte eine Rolle.
Fazit:
Das Buch hat mich und meine Sichtweise auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft nachhaltig beeindruckt und beeinflusst. In Romanform wird alles Wesentliche, was zu diesem Thema gesagt werden kann, auf den Punkt gebracht, teils durch die Handlung, teils durch die Diskussionen. Was darüber hinaus wichtig ist: Dorothy Sayers erzählt hier durch ihre Figur Harriet Vane über das Schreiben und seine Bedeutung für sie selbst. Das ist außerordentlich aufschlussreich. Und eines muss vielleicht noch gesagt werden: Durch das Auftauchen von Harriet Vane in den Lord-Peter-Wimsey-Romanen wird er eigentlich erst zu einem Menschen. Ist er in den ersten Romanen ein Tausendsassa, ein Gentleman-Detektiv, einer, der seine neugierige Nase überall reinstecken muss und eben dabei Mordfälle aufklärt, so entwickelt er sich in den folgenden Büchern immer mehr zu einer Persönlichkeit mit Biographie, Familie und gesellschaftlichem Background. Aber erst mit dem Auftauchen von Harriet Vane wird er zum Menschen, zu einem, dem man gerne einmal begegnet sein möchte.
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