1069 Sayers, Dorothy L. Ärger im Bellona-Club Aus dem Englischen von Otto Bayer Originaltitel: The Unpleasentness at the Bellona Club Datum der Erstveröffentlichung: 1928 | „Wimsey, was in aller Welt suchen Sie denn in dieser Leichenhalle?“ fragte Hauptmann Fentiman und warf, wie von einer lästigen Pflicht erlöst, seinen „Evening Banner“ beiseite.“ Mit diesen Worten beginnt das Buch. Der Ort, der so lieblos als „Leichenhalle“ bezeichnet wird, ist der Bellona-Club, eine altehrwürdige Institution für teils eben so alte und dazu sehr honorige Mitglieder. Frauen sind hier unerwünscht. Reine Männersache, Altherrensache sozusagen. Und man weiß bei einigen nicht, ob sie noch leben oder ob sie schon als Mumien in ihren bequemen Sesseln sitzen. Und damit ist im Grunde der Leser/die Leserin schon mitten im Thema. Der Roman spielt Anfang der 1920er Jahre. Es geht um eine Leiche, die im Beisein von Lord Peter gefunden wird und bei der nicht klar ist, wie lange sie denn da schon liegt bzw., wann der Mann verstorben ist. Anfangs gehen alle von einem natürlichen Tod aus, doch mit der Anwesenheit des Gentleman-Detektivs Lord Peter nimmt der Fall eine für manche unerwünschte Wendung. Und in der Folge sieht er sich mit einigen schwierigen Fragen konfrontiert: Wann und woran starb der alte Fentiman, Großvaters des o.g. Hauptmanns, wirklich? Damit nicht genug: Fast zeitgleich starb seine Schwester, die auch viel Geld hinterlässt. Wer also starb wann und vor allem: Wer vor wem? Von der Beantwortung dieser Fragen hängt u.a. ab, an wen das reichhaltige Erbe der alten Geschwister fällt. Wenn es sich nicht um einen natürlichen Tod, sondern um Mord handelt, wie wurde er bewerkstelligt und natürlich von wem? Lord Peter lernt in diesem Fall so einiges über die menschliche Natur und ihre Licht- und Schattenseiten bzw. Abgründe. Das Ende ist ein wenig unkonventionell, aber in seiner Konsequenz schon wieder very british. Und die Sprache ist dies sowieso. Um Alter und Einsamkeit, das Festhalten an starren Gepflogenheiten und Regeln, natürlich um Habgier und Egoismus, um die Folgen des Krieges (des 1. Weltkrieges) und die Auswirkungen auf den Einzelnen und die Gesellschaft. Dorothy Sayers weist auf die Situation der Soldaten hin, die krank an Leib und Seele aus dem Krieg zurückkehrten und denen außer lobenden Worten und organisierten Gedenktagen keine Anerkennung oder gar Entschädigung zuteil geworden ist. In der Person Georges, des Bruders Hauptmann Fentimans, weist sie auf die Kriegstraumata hin, an denen viele Soldaten leiden. Sayers beschreibt die Probleme, die sich für George daraus ergeben. Er ist nicht wirklich arbeitsfähig, da er unter so genannten Flashbacks leidet (wie wir das heute nennen). Sie versetzen ihn in einen hilflosen Zustand, in dem er verrückte Dinge tut, an die er sich im Nachhinein nicht mehr erinnern kann. Er neigt zu aggressivem Verhalten und kommt nicht damit klar, dass seine Frau mehr und mehr die Rolle der Ernährerin übernehmen muss. Schon hier setzt sich Dorothy Sayers mit der Rolle der Frau in der Gesellschaft auseinander. Die verschiedenen Frauenfiguren in diesem Roman stellen verschiedene Möglichkeiten für Frauenleben dar: Angepasst, leidend, auf den Mann bezogen oder nach Eigenständigkeit suchend wie Marjorie Phelbs, ein frühes Alter Ego der Schriftstellerin. Diese Themen sind selbstverständlich (leider) auch heute noch aktuell. Fazit: Schon in „Ärger im Bellona-Club“ zeigt sich, dass Sayers zunehmend nicht mehr an den früheren Kriminalgeschichten interessiert ist. Ja, indirekt thematisiert sie die Belanglosigkeit, ja manchmal Geschmacklosigkeit, die diese Spielart der Krimi-Romane mit ihrer Freude an intellektuellen Gedankenexperimenten mit sich bringen kann. Denn die Anordnung des Plots folgt zwar diesen Vorgaben. Aber die Geschichte entwickelt sich mehr und mehr zum Portrait einer in sich erstarrten, verlorenen, weil vom Trauma des Krieges gezeichneten Gesellschaft. Lord Peter, aufgrund seiner herausgehobenen gesellschaftlichen Position anfangs ein eher unbeteiligter Beobachter, wird mehr und mehr in das Drama hineingezogen. Und es zeigt sich, wenn auch erst ansatzweise, dass auch er in gewisser Weise ein Versehrter ist. Dies allerdings wird erst in späteren Romanen deutlicher ausgearbeitet. Die Sprache ist, wie stets bei Dorothy Sayers, einerseits ein reines Vergnügen, sarkastisch, ironisch, witzig. Aber auch immer wieder nah an den Menschen. Mitgefühl ist Lord Peter durchaus nicht fremd. Sentimentalität schon. Wie seiner Schöpferin. rororo TB - 1989 - Buch |