Buch-Welt-Musik
Medium Rezension
1067
Mozart
The 5 Violin Concertos - Sinfonia Concertante
Dirigent: Nikolaus Harnoncourt
Wiener Philharmoniker
Solisten: Gidon Kremer, Violine, Kim Kashkashian, Viola
Eine Begegnung für's Leben
Mit dieser CD lernte ich Nikolaus Harnoncourt kennen. Gekauft hatte ich sie, weil ich den Geiger Gidon Kremer schon gehört hatte und mochte. Ich suchte damals nach Mozarts Violinkonzerten. Und da kam diese CD mir gerade recht. Ich kaufte sie also, nicht ahnend, was da auf mich zukam.
Ich legte die CD in den Player, die Musik begann. Nach den ersten Takten war mir, als würde ich um 180 Grad gedreht. Wow, dachte ich, ist das Orchester Klasse. Das hat ja wirklich was zu sagen, das ist ja eine Person und nicht nur dazu da, den Solisten zu begleiten und nicht weiter zu stören. Ich war absolut hingerissen. Das war eine ganz andere Art Musik. War das spannend und unglaublich lebendig. Und dann das Zusammenspiel mit dem Solisten. Die spielten ja wirklich zusammen, die redeten miteinander, die hörten aufeinander. Das war eine völlig neue Erfahrung für mich.
Ich brauchte einige Zeit, bis mir aufging, dass der Dirigent auch etwas damit zu tun hatte. Und noch ein wenig länger, bis ich verstand, wen ich da entdeckt hatte. Nikolaus Harnoncourt wurde für mich der Dirigent, der lebendigste, der spannendste, der temperamentvollste, der intelligenteste, der rhythmischste – mit einem Wort, der wichtigste. Alle anderen interessierten mich vorderhand nicht mehr. Mit ihm entdeckte ich ein ganzes Universum an Musik. Er ist reines Feuer, intuitiv, intensiv, hohe Ideale und klare Erkenntnis, Gefühl und Verstand kommen bei ihm zusammen. Mit ihm geht es hinaus aufs offene Meer, da kann auch mal ein Sturm kommen, da gibt es Gefahren, das kostet etwas, viel, alles, was man zu geben hat. Aber in der Regel kommt man im sicheren Hafen wieder an. Er ist ein guter Kapitän. Man geht mit ihm nicht unter. Aber Mut muss man haben, alles wagen, so wie er. Er geht unter die Haut. Das muss man aushalten (wollen).
Mir war, als wäre er eine Antwort auf mich selbst. Er hat es sich und anderen in seinem Leben nicht leicht gemacht, sein Verhältnis zur Musik war existenziell, Musik nicht als Genussmittel für Gourmets oder Gourmands, sondern lebenswichtig und das Gegenteil von beliebig. Da kann man anecken. Und er machte immer alles anders. Sein Mozart ist nicht der Rokoko-Rauschegold-Engel, der sich von Kronleuchter zu Kronleuchter schwingt, nicht das mehr oder weniger verrückte Wunderkind. Bei ihm darf Mozart erwachsen sein, einer, der genau weiß, was er kann und wie er es macht, Mozart, einer der größten und tiefsten Komponisten, dramatisch, traurig, heiter, verspielt, temperamentvoll und voller Lebensfreude, und neu, immer wieder neu. Das haben dann auch andere verstanden. Erst großes Theater, wie kann der nur, was macht der da, und dann machen sie ihn nach. Wie ein Kritiker das einmal ausdrückte: „Erst der leibhaftige Gottseibeiuns, und dann der heilige Nikolaus.“ So kann's gehen.
Gidon Kremer, der Nachdenkliche, der Menschliche, der Kluge
Sein Spiel ist klar und rein, sensibel und gleichzeitig kraftvoll, ohne jede Attitüde, nur dem Werk und dem Komponisten verpflichtet. Solist, Orchester und Dirigent werden eins, sie atmen zusammen. In seinem Buch „Obertöne“ (1997, Residenzverlag, Salzburg, Wien) schreibt er über die Aufnahme der Konzerte, bei der er zum ersten Mal Nikolaus Harnoncourt begegnete (S. 136ff):
„Noch nie habe ich die Einleitung zu KV 364, der genialen „Sinfonia concertante“, so dramatisch, so differenziert gehört. Und im Orchester überzeugte wirklich alles. Man wollte als Solist nur eines - den Maestro und Mozart natürlich nicht im Stich lassen. Bei den Versuchen der Annäherung an die anderen Konzerte und später an die Werke von Beethoven, Schumann und Brahms entwickelte sich eine Freundschaft zwischen uns. Je mehr man mit Harnoncourt in Kontakt kommt, desto mehr wird man sich all dessen bewusst, was man aus der Beziehung noch wird schöpfen können. Ich gewann das Gefühl, dass mir unaufdringlich der Schlüssel zu einer Geheimtür für Verborgenes in die Hand gelegt wurde. Nikolaus sagte einmal: Es gibt kein zu langsames oder zu schnelles Tempo, sondern nur das eine, das richtige.“
Und Harnoncourt sagte über Gidon Kremer: „Die Sicherheit ausgetretener Pfade scheint ihm nichts zu bedeuten. Stets auf der Suche, nie am Ziel, hat er wohl erkannt, dass letzte Schönheit und Sicherheit einander nicht vertragen – dass der Name dieser letzten Schönheit vielleicht Wahrheit ist.“
Da sind sie sich wohl sehr nahe. In ihrer beider Interpretation offenbaren sich Größe und Tiefe der wunderbaren Sinfonia concertante aufs Schönste. Und dabei darf natürlich die Dritte im Bunde nicht unerwähnt bleiben: Kim Kashkashian. Sie steht den beiden anderen in nichts nach. Und alle zusammen eröffnen dieses Wunderwerk einem geneigten und offenen Ohr.
Die Aufnahme ist von 1984 bzw. 1986. Sie ist alles andere als alt, sondern immer noch und immer wieder neu und frisch, Zeit spielt hier keine Rolle.
Es gibt auch eine DVD, erschienen bei Deutsche Grammophon, 2006. Wie jung sie da alle sind, voller Leidenschaft für die Musik, enthusiastisch, ernst und idealistisch.
Deutsche Grammophon - 1984/1986 - Audio-CD
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