Mit dieser CD lernte ich Nikolaus Harnoncourt kennen. Gekauft hatte ich sie, weil ich den Geiger Gidon Kremer schon gehört hatte und mochte. Ich suchte damals nach Mozarts Violinkonzerten. Und da kam diese CD mir gerade recht. Ich kaufte sie also, nicht ahnend, was da auf mich zukam.
Ich legte die CD in den Player, die Musik begann. Nach den ersten Takten war mir, als würde ich um 180 Grad gedreht. Wow, dachte ich, ist das Orchester Klasse. Das hat ja wirklich was zu sagen, das ist ja eine Person und nicht nur dazu da, den Solisten zu begleiten und nicht weiter zu stören. Ich war absolut hingerissen. Das war eine ganz andere Art Musik. War das spannend und unglaublich lebendig. Und dann das Zusammenspiel mit dem Solisten. Die spielten ja wirklich zusammen, die redeten miteinander, die hörten aufeinander. Das war eine völlig neue Erfahrung für mich.
Ich brauchte einige Zeit, bis mir aufging, dass der Dirigent auch etwas damit zu tun hatte. Und noch ein wenig länger, bis ich verstand, wen ich da entdeckt hatte. Nikolaus Harnoncourt wurde für mich der Dirigent, der lebendigste, der spannendste, der temperamentvollste, der intelligenteste, der rhythmischste – mit einem Wort, der wichtigste. Alle anderen interessierten mich vorderhand nicht mehr. Mit ihm entdeckte ich ein ganzes Universum an Musik. Er ist reines Feuer, intuitiv, intensiv, hohe Ideale und klare Erkenntnis, Gefühl und Verstand kommen bei ihm zusammen. Mit ihm geht es hinaus aufs offene Meer, da kann auch mal ein Sturm kommen, da gibt es Gefahren, das kostet etwas, viel, alles, was man zu geben hat. Aber in der Regel kommt man im sicheren Hafen wieder an. Er ist ein guter Kapitän. Man geht mit ihm nicht unter. Aber Mut muss man haben, alles wagen, so wie er. Er geht unter die Haut. Das muss man aushalten (wollen).
Mir war, als wäre er eine Antwort auf mich selbst. Er hat es sich und anderen in seinem Leben nicht leicht gemacht, sein Verhältnis zur Musik war existenziell, Musik nicht als Genussmittel für Gourmets oder Gourmands, sondern lebenswichtig und das Gegenteil von beliebig. Da kann man anecken. Und er machte immer alles anders. Sein Mozart ist nicht der Rokoko-Rauschegold-Engel, der sich von Kronleuchter zu Kronleuchter schwingt, nicht das mehr oder weniger verrückte Wunderkind. Bei ihm darf Mozart erwachsen sein, einer, der genau weiß, was er kann und wie er es macht, Mozart, einer der größten und tiefsten Komponisten, dramatisch, traurig, heiter, verspielt, temperamentvoll und voller Lebensfreude, und neu, immer wieder neu. Das haben dann auch andere verstanden. Erst großes Theater, wie kann der nur, was macht der da, und dann machen sie ihn nach. Wie ein Kritiker das einmal ausdrückte: „Erst der leibhaftige Gottseibeiuns, und dann der heilige Nikolaus.“ So kann's gehen.