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Medium Rezension
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Mann, Heinrich
Die Jugend des Königs Henri Quatre - Die Vollendung des Königs Henri Quatre
Biographisches:
Heinrich Mann (1871-1950), älterer Bruder Thomas Manns, Sohn eines Lübecker Senators, Großkaufmanns und Reeders. Er wuchs auf im Deutschland Preußens, erlebte beide Weltkriege, war ein entschiedener Gegner von Diktaturen sowie des NS-Regimes. Berühmt wurde er mit dem Roman „Professor Unrat“ über die deutsche Untertanenseele bzw. mit dessen Verfilmung unter dem Titel „Der blaue Engel“ mit Marlene Dietrich und Emil Jannings. Heinrich Mann fühlte sich von Jugend an zu Frankreich hingezogen. Als er 1933 überstürzt aus Deutschland fliehen musste, emigrierte er über Sanary sur Meer nach Nizza. Hier waren auch andere Flüchtlinge vor dem Nazi-Regimes gestrandet. Nach einer abenteuerlichen Flucht über die Pyrenäen gelangte er mit Hilfe seines Bruders Thomas und seiner Nichte Erika Mann nach Amerika, wo er bis zu seinem Tode lebte.

Von 1935 bis 1938 schrieb er „Die Jugend des Königs Henri Quatre“ sowie „Die Vollendung des Königs Henri Quatre“. Mit diesem Werk fand er die uneingeschränkte Bewunderung seines Bruders Thomas, der ihm und seinen früheren Werken zum Teil ablehnend gegenüberstand.
Inhalt
Henri Quatre, geb. 1553, war ein französischer König, Sohn des katholischen Herzog von Vendôme, Anton von Bourbon, und der protestantischen Königin von Navarra, Johanna von Albret.
Von Kindheit an wurde er in die Glaubenskämpfe und Kriege bzw. Intrigen am französischen Hof der Valois-Dynastie hineingezogen. Auch zwischen seiner Mutter und dem Vater gab es immer wieder Streit wegen der Religion und welcher Henri angehören solle. Er war katholisch getauft, wurde aber weitestgehend von seiner protestantischen Mutter erzogen und fühlte sich deren Glaubensbekenntnis verpflichtet. Er war mehrfach gezwungen, seinen Glauben zu wechseln. Schon als Kind musste seine Mutter ihn an den Königshof abgeben, wo man ihn zwang, sich dem katholischen Glauben zu unterwerfen. Er wuchs auf mit den Söhnen Katharina de Medicis und mit Henri, Duc (Herzog) de Guise, der später zum Anführer der Katholischen Liga wurde. Seiner Mutter gelang es, ihn nach Navarra zurückzuholen, wo er sofort zum Protestantismus übertrat. Seine Ehe mit Margarete von Valois, Tochter Katharina de Medicis und Heinrich II von Valois, sollte ein Friedensbündnis zwischen Protestanten und Katholiken besiegeln. Die Hochzeit endete in einem Blutbad, der so genannten Bartholomäusnacht (24. August) des Jahres 1572, auch Pariser Bluthochzeit genannt. An die 3000 Protestanten wurden hingemetzelt, die schlimmsten Gräueltaten verübt, der Mob feierte mit einer Grausamkeit, die auch heute noch erschüttert. Das Blut, so Zeitzeugen, floss in Strömen, Paris war voller Leichen. Im übrigen Land waren es an die 10.000 Hugenotten, die ermordet wurden. Henri überlebte, musste sich aber entscheiden: Gefangenschaft in der Bastille, Tod durch den Galgen oder Übertritt zum Katholizismus. Er entschied sich für letzteres. Für 39 Monate war er Gefangener am französischen Hof, während es immer wieder zu Kriegen zwischen den Parteien kam. Endlich, als schon niemand mehr an eine Flucht glaubte, gelang es Henri mittels einer List zu entkommen. Er kehrte nach Navarra zurück, trat zum Protestantismus über, und stellte sich in den Dienst der protestantischen Sache.
Mit ihm und den anderen Kämpfern für ihre Sache gelang es ihm, mehr und mehr Einfluss zu bekommen. Schließlich gingen er und seine Anhänger als Sieger aus dem Bürgerkrieg hervor. Inzwischen war am Königshof Chaos ausgebrochen. Das Haus Valois, gezeichnet durch eine geheimnisvolle Krankheit (die Bluterkrankheit) verlor den Thron mit der Ermordung Henri III durch einen Anhänger der Katholischen Liga. Zuvor hatte Henri III den Duc de Guise ermorden lassen (im Schloss zu Blois). In seinem Testament bestimmte Henri III seinen Cousin Henri von Navarra zum Nachfolger. Der war am Anfang nur an 14. Stelle in der Thronfolge. Durch die Wirren der Bürgerkriege, die Krankheit und das frühe Sterben der Valoiskönige rückte Henri an die erste Stelle. Sein Problem: Er war Protestant. Und ihm wurde klar, dass er niemals König von Frankreich werden könne, wenn er nicht zum Katholizismus überträte. Nach langem Ringen entschloss er sich dazu. Angeblich mit den Worten: Paris ist eine Messe wert.
Als Henri Quatre ging er in die Geschichte ein. Von Anfang an war sein Leben in Gefahr, es wurden eine Reihe von Anschlägen auf ihn vereitelt. Obwohl inmitten von Gewalt und Blutvergießen aufgewachsen, war er laut allen Quellen weder rachsüchtig noch blutrünstig, er brachte Frankreich Frieden und Wohlstand. Man nannte ihn auch Henri le Grand oder in seiner gascognischen Heimat „lo nòstre bon rei Enric (deutsch: unser guter König Heinrich)“. Am 14. Mai 1610 wurde er von Francois Ravaillac ermordet.
Soweit die Historie.
Heinrich Mann hat diesen König bewundert und man kann sagen, geliebt. Er sagt über ihn: „Der menschliche Reichtum – nicht die gewohnte verkümmerte Natur ohne Wissen – kann machtvoll sein. Henri Quatre, oder die Macht der Güte.“
Die Persönlichkeit und das Leben dieses Königs ist für Heinrich Mann (nomen est omen) das Gegenbild zu allen Diktatoren und Machthabern nicht nur seiner Zeit. Man hat Mann dies vorgeworfen, er sei in seiner Schilderung der Geschehnisse zu nah an seiner eigenen Zeit, er idealisiere den König, ja zeichne ihn in gewisser Weise als Heilsbringer.
Das mag in Teilen zutreffen. Andererseits hat er – soweit ihm die Quellen zur Verfügung standen – intensiv recherchiert. Seine Schilderungen lassen sich durch neuere Forschung belegen. Aus dem hohlen Bauch hat er nun wirklich nicht geschrieben oder fabuliert. Sein Stil ist völlig anders als in seinen anderen Werken. Hier schreibt nicht der Ironiker, nicht der Spötter. Er lebt und leidet mit seinem Held. Die Sprache ist klar und unkompliziert, einfach, gerade heraus und nahe an den Menschen. Das hat mit seinem Helden zu tun, dem Gegenentwurf zum verlogenen, intriganten und moralisch verkommenen Königshof der Valois. Was Heinrich Mann auch umtreibt: Obwohl vielfach verraten und bedroht, wurde er nicht zum Tyrannen, nicht zum Mörder. Wie ist es möglich, dass ein Mensch unter so menschenverachtenden Umständen aufwächst und nicht so wird wie sein Umfeld? Wie konnte sich Henri Quatre seine Güte bewahren und sich um Vermittlung zwischen den verfeindeten Parteien bemühen?
Heinrich Mann versucht eine Antwort auf diese Fragen. Sein beiden Romane über Henri Quatre geraten auch zu einer Hommage an diesen König und an ein Land, das er immer liebte und das ihm zumindest bis zum Vichy-Regime Unterschlupf gewährte. Frankreich und seiner Kultur, seinen Künstlern fühlte Heinrich Mann sich nahe und verpflichtet.
Ein Werk, nicht nur für Frankreich-Liebhaber, sondern für alle Leser und Leserinnen, die sich für Geschichte und Geschichte interessieren, die verstehen, wie sehr die Vergangenheit die Gegenwart berührt und betrifft. Und gerade im ersten Teil ist das Buch außerordentlich spannend und mitreißend geschrieben. Man fiebert mit Henri, geht mit ihm durch alle Höhen und Tiefen, und wünscht ihm einfach nur, dass er überlebt und lebt und dass sein Leben glückt.

Wer sich für diese Zeit der französischen Geschichte interessiert, hier noch einige Tipps:

Robert Merle: Fortune de France (viele Einzelbände mit eigenen Titeln, beginnend mit: „Fortune de France“, grandios erzählt anhand der Geschichte einer französischen Familie von Anfang des 16. Jahrhunderts bis zu Ludwig XIV, abenteuerlich und Detail versessen – und Heinrich Manns Version bestätigend), Aufbau-Verlag

Saint-René Taillandier: Heinrich IV – Der Hugenotte auf Frankreichs Thron
Verlag Diedrichs 1996

Ein großangelegte Biographie des Königs, lebendig und eindrucksvoll geschrieben. Und auch Taillandiers Buch zeigt, wie gut Heinrich Mann recherchiert hat.
rororo - 2001 - Buch
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