1048 Padura, Leonardo Der Mann, der Hunde liebte Aus dem kubanischen Spanisch von Hans-Joachim Hartstein - Originalausgabe 2009 | Iván lebt in Kuba. Er hat seine Frau durch Krankheit verloren, wartet auf seinen eigenen Tod. Dies gibt ihm den Mut, eine Geschichte zu erzählen, die er seit Jahren mit sich herumträgt und die er bislang niemandem erzählt hat, außer zuletzt seiner Frau. Er hatte immer Angst, was geschehen könnte, wenn sie an die Öffentlichkeit käme. Er hat sie von Ramón Mercader erfahren. Es ist dessen Geschichte, die Geschichte des Mörders Trotzkis, der bis zu seinem Tod unbehelligt in Kuba lebte. Iván begegnete ihm an einem Strand in Kuba, wo ihm dessen zwei russische Windhunde, Borsois, auffallen. Das ist die eine Ebene des Romans. Die andere ist eine Art Biographie Trotzkis, der von Stalin 1929 in die Türkei ausgewiesen wurde. Kemal Atatürk gewährte ihm politisches Asyl. Padura erzählt in einem atemberaubenden Tempo von den Geschehnissen der Weltgeschichte und den unterschiedlichen Orten, an denen sie stattfand. Da ist einmal Trotzki mit seinen verschiedenen Verbannungen und Exilen, von Alma Ata (1928) angefangen über die Türkei bis endlich in Mexiko, wo ihn 1940 sein von Stalin beauftragter Mörder erreicht. Und da ist die Geschichte von Ramón Mercader, einem Spanier: seinem Kampf im spanischen Bürgerkrieg gegen Franco und dessen Gefolgsleute, wie er mit dem sowjetischen Geheimdienst in Kontakt kommt über seine Mutter Caridad, wie man ihn auserwählt für einen besonderen Auftrag, wie er nach Moskau kommt (zur Zeit der Schauprozesse), um an einem geheimen Ort für seine Aufgabe abgerichtet zu werden. Es ist ein Roman über die Verführbarkeit von jungen, idealistischen Menschen, ihre Zurichtung zu unmenschlichem Verhalten mit der Überzeugung der Rechtgläubigkeit. Es ist eine Abrechnung mit dem Stalinismus, Kommunismus, aber auch mit anderen Ismen, die nur die Pervertierung alles Menschlichen zum Ziel haben mit der Vision einer idealen Gesellschaft, einer Zukunft, für die jeder Verzicht sich lohnt. Und die den Verrat an allem beinhaltet, was dieser Vision im Wege steht, für jeden Verrat und jede Manipulation eine Entschuldigung bzw. Rechtfertigung findet. Auch für den Verrat von Freundschaft, Liebe und Menschlichkeit unter dem Deckmantel eines revolutionären Kampfes gegen bürgerliche Vorstellungen und Verhaltensweisen. Die Revolution frisst nicht nur ihre Kinder, sie ist der Moloch, der sich alles unterwirft und benutzt für ein Ziel, von dem zum Schluss niemand mehr weiß, was es denn ist, wofür man gekämpft hat bzw. kämpft. Und die sich immer wieder speist aus der Paranoia der Herrschenden, ihrem unbedingten Machtwillen und dem ihrer Parteigänger und Gefolgsleute, dem Widerstand gegen Andersdenkende sowie dem Gefühl der geistigen Unterlegenheit gegenüber denen, die man ohne Gewissensbisse zerstört, ja, die man gerade deshalb verfolgt und zerstört. Das Buch ist spannender Roman und Geschichtslektion in einem, grandios und mit Herzblut erzählt. Padura weiß, wovon er schreibt. Er lebte und lebt in Kuba. Da hat man Anschauungsunterricht in Hülle und Fülle. Als er erfuhr, dass der Mörder Trotzkis bis zu seinem Tod in Kuba gelebt hatte, ging er dessen Spuren nach. Das Ergebnis ist „Der Mann, der Hunde liebte“. Leonardo Paduras Buch ist heute aktueller denn je und widerspricht allen nostalgischen Verklärungen, die es - ob in Russland bezogen auf Stalin oder woanders auf unserem Planeten - gestern gab und heute wieder gibt. Übrigens: Ramón Mercader (1913-1978), der nach seiner Tat gefasst worden war, verbüßte eine Strafe von 20 Jahren in mexikanischen Gefängnissen, wurde entlassen und bekam von tschechoslowakischen Behörden einen Pass, lebte zunächst in Kuba, danach in Prag und Moskau, wo er auch arbeitete und sich vor allem mit – welch Ironie - Trotzki beschäftigte. Er starb an Knochenkrebs in Havanna, wo er die letzten Jahre seines Lebens verbracht hatte. Unionsverlag - 2011 - Buch |