1046 Padura, Leonardo Das Havanna-Quartett: Ein perfektes Leben; Handel der Gefühle; Labyrinth der Masken; Das Meer der Illusionen 4 Romane, auf Spanisch erschienen zuerst 1991, 1994, 1997, 1998 - alle 4 Romane in einem Band zusammengefasst 2008 Übersetzer: Hans-Joachim Hartstein aus dem kubanischen Spanisch | Leonardo Padura – geboren 1955 in Havanna, Studium Lateinamerikanistik, Journalist, Buchveröffentlichungen wie Romane, Erzählungen, literaturwissenschaftliche Studien. Mario Conde, 35 Jahre alt, ist Polizist im Rang eines Teniente (Leutnant) in Havanna, bekannt für sein eigenwilliges Vorgehen und seine Widerborstigkeit. Trotz oder gerade wegen dieser Eigenschaften ist er geachtet, seine Aufklärungsrate bei Verbrechen hoch. Die vier Romane spielen im Jahr 1989. Die Vorboten von Glasnost sind zu spüren, die kubanische (machistisch geprägte) Gesellschaft kann sich den Sogwirkungen der Veränderungen in der Beziehung zu Russland nicht entziehen. Gleichwohl soll es weitergehen wie bisher. Doch das will immer weniger gelingen. Mario Conde selbst befindet mitten in einer Lebenskrise. Er ist desillusioniert, sein Leben erscheint ihm zunehmend sinnlos und kaputt. Alles, was man ihm in seiner Kindheit und Jugend beigebracht hat, war mehr oder weniger verlogen. Seine Jugendträume haben sich als Chimären erwiesen, sein Traum vom Schriftstellerberuf ist in weite Ferne gerückt. Er möchte den ungeliebten Polizeiberuf aufgeben, aber von etwas muss er leben. Was ihn noch hält ist die Beziehung zu seinem Vorgesetzten Mayor Rangel, der eine Art Vaterersatz ist. Und sein Kollege Sargento Manolo Palacios, mit dem er gerne arbeitet. Immer wieder muss er bei der Aufklärung von Verbrechen, insbesondere von Mord, erfahren, dass eine gewisse Oberschicht, vor allem der Parteikader, sehr gut lebt, korrupt ist auf Kosten derer, denen man Durchhalteparolen gepredigt hat und die nun am Rande der Gesellschaft ihr Dasein fristen. Die diversen Säuberungsaktionen dienen nur immer wieder noch korrupteren Leuten. Nach außen hart, zynisch, ironisch, Kettenraucher, ist Conde nach innen ein Romantiker, Idealist und ewig Suchender nach der untergründigen und berührenden Geschichte, die er so gerne und immer noch schreiben möchte. Seinen Zorn und den Frust über die Gesellschaft, seinen Beruf und sich selbst in seiner inneren Zerrissenheit versucht Conde mit exzessivem Alkoholkonsum herunterzuspülen. Permanent unglücklich verliebt verstrickt er sich immer wieder in sexuelle Abenteuer, die ebenso exzessiv und obsessiv erscheinen. Was ihn noch hält, sind seine Jugendfreunde wie der dünne Carlos, der nicht mehr dünn ist, und dessen Mutter Josefina, die auch aus Nichts wundervolle Speisen kreieren kann. Die vier Romane kreisen um diese Themen. Leonardo Padura nutzt die Möglichkeiten des Krimi-Genres, um auf gesellschaftliche Zustände hinzuweisen: Auf Opportunismus, Lebenslügen, Karriere auf Kosten anderer (Ein perfektes Leben, Handel der Gefühle). Oder auf die Lage der Homosexuellen und Transvestiten in der homophobischen kubanischen Gesellschaft sowie die prekäre Situation der Schriftsteller und Künstler (Labyrinth der Masken). Im letzten Fall (Das Meer der Illusionen) ist Mario Conde auf dem Absprung. Er will den Polizeidienst quittieren. Ein letztes Mal macht er sich auf die Suche nach dem Mörder, der sein Opfer grässlich zugerichtet hat. Was ist das Motiv? Wer hat sich an der Habe vieler Emigranten bereichert, die sich in die USA bzw. Miami abgesetzt hatten und alles zurücklassen mussten? Und wie wird die Stadt dem herannahenden schweren Zyklon Felix begegnen? Padura sagte in einem Interview einmal, er wisse genau, wie weit er mit seiner Kritik gehen dürfe, ohne im Gefängnis zu landen. Insofern kritisiert er eher indirekt das Regime und die geltende Ideologie. Denn zunächst sind es einzelne, die korrupt sind. Das war wohl noch zu ertragen. Aber natürlich bleibt die Frage, wieweit das System die Ursache für das alles ist. Die muss dann jeder für sich beantworten. Und ebenso, ob man für seine Kritik bereit ist, ins Gefängnis zu gehen bzw. gesellschaftliche Ächtung auf sich zu nehmen. Fazit: Lesenswert, allerdings etwas schwierig wegen der durchgehend depressiven Stimmung Mario Condes. Die Sprache ist sehr direkt, sinnlich, aggressiv, teilweise Straßen- und Machosprache. Sich vornehm verklausuliert auszudrücken bleibt in der Regel der korrupten Oberschicht vorbehalten. Doch wechselt die Sprachebene auch stark bei den schriftstellerischen Versuchen Mario Condes, die er immer wieder unternimmt. Was die Romane vor allem interessant macht außer der Gesellschaftskritik, sind die Geschichten, die Zeugen, Verdächtige, zufällige Begegnungen oder Weggefährten Condes zu erzählen haben. Von ihnen erfährt man im Grunde mehr über Kuba und das Leben dort als über die Krimihandlungen selbst. Und natürlich aus Mario Condes Tag- und Alpträumen und Beobachtungen, den vielen liebevoll-wehmütigen Schilderungen Havannas, den schönen alten Häusern und Stadtvierteln mit ihrer großen, nun verfallenen Vergangenheit, den Gerüchen und Geräuschen der Stadt, der Hitze und Kälte und Josefinas köstlichen Kochkünsten. Mit dem „Havanna-Quartett“ wurde Padura auch in Europa bzw. Deutschland bekannt und mit zahlreichen Preisen geehrt. Unionsverlag - 1997, 1998, 2000, 2001 - Buch |