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Medium Rezension
1045
Murgia, Michela
Accabadora
Roman - gebundene Ausgabe
Übersetzerin: Julika Brandestini
Zur Person
Michela Murgia, geboren 1972 in Cabras/Sardinien. Sie studierte Theologie und unterrichtete Religion. Sie wurde bekannt mit ihrem Buch über ihre Erfahrungen in einem Callcenter Il mondo deve sapere (2006) und den prekären Arbeitsbedingungen dort, auf Deutsch: Camilla im Callcenterland (2011). Später publizierte sie einen Erzählband über Orte der Insel Sardinien. Ihr erster Roman Accabadora erschien 2009 in Italien und erhielt verschiedene Auszeichnungen.
„Fillus de anima, Kinder des Herzens.
So nennt man die Kinder, die zweimal geboren werden, aus der Armut einer Frau und der Unfruchtbarkeit einer anderen. In dieser zweiten Geburt wurde Maria Listru zum späten Segen für Bonaria Urrai.“
So beginnt das Buch. Es erzählt die Geschichte von Maria Listru, einem ungewünschten und erwünschten Mädchen, das auf Sardinien in den 1950er Jahren aufwächst. Bonaria Urrai nimmt sie an Kindes Statt zu sich. Sie ist eine schon ältere alleinstehende Frau. Marias bitterarme Familie will die Nachzüglerin nicht, Bonaria Urrai nimmt sich ihrer an. Und bei ihr erlebt Maria all die Liebe und Fürsorge, die sie in ihrer eigenen Familie bislang nicht erfahren hat und bei der sie keine Chance auf ein gutes Leben hätte. Selbst ein eigenes Zimmer hat sie. Auch eine sehr gute Ausbildung ermöglicht ihr Bonaria Urrai. Maria lebt über viele Jahre sehr gerne bei ihr. Und für Bonnaria ist eine glückliche Zeit. Doch dann muss Maria die schmerzliche Erfahrung machen, dass auch die Personen, die man liebt, Dinge tun, die man nicht versteht und nicht gutheißen kann.
Denn Bonnaria hat ein Geheimnis, sie ist mitunter nachts unterwegs, manchmal wird sie unvermittelt gerufen in andere Familien. Was sie da macht, weiß Maria nicht. Erst spät erfährt sie, um was es sich dabei handelt. Und mit diesem Wissen verändert sich die Beziehung zwischen den beiden grundlegend.
Mir hat das Buch großen Eindruck gemacht. Beide, Maria und Bonaria sind starke Persönlichkeiten. Maria verdankt ihr alles, aber die Frau, die für sie Mutterstelle übernommen hat, bleibt ihr in einem großen Bereich ihres Lebens fremd. Das Buch behandelt Themen wie Leben in einer archaisch anmutenden Welt, Adoption und den Umgang mit Sterben und Tod sowie das Thema Sterbehilfe. Und die Frage: Was würdest du tun, wenn dieses Thema auf dich zukommt? Die Sprache ist kraftvoll und sensibel in einem, nie sentimental, eher ein wenig unterkühlt, dann aber von großer Intensität. Ein Buch, das einen in seinen Bann zieht.
Klaus Wagenbach - 2010 - Buch
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