Das französische Repertoire war mir bislang leider weitestgehend fremd und deshalb die Auswahl der Stücke sehr lieb
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1008 Kaufmann, Jonas L'Operá | Kunst und Leben Das französische Repertoire war mir bislang leider weitestgehend fremd und deshalb die Auswahl der Stücke sehr lieb Vorbemerkung Auch auf die Gefahr hin, dass die Rezension etwas lang wird, eine Vorbemerkung: Ich bewerte Künstler, egal welcher Profession, nicht nur nach Schönheit der Darbietung oder einer Art Kunstgenuss, die sie bieten oder bieten sollten, sondern vor allem nach meinem persönlichen Eindruck und dem, was mich berührt. Bei Jonas Kaufmann mache ich die Erfahrung, dass sich an ihm oft die Geister scheiden. Seine Stimme entspricht nicht der üblichen Vorstellung von einem Tenor. Wie jemand schrieb: Entweder man mag seine Stimme oder man mag sie nicht. Das ist zwar eigentlich immer so, aber gerade bei ihm fällt mir das besonders auf. Er ist kein lyrischer Tenor, sondern viel eher ein Heldentenor. Er singt aber auch gerne Partien aus dem lyrischen Fach. Da ich mehr auf Interpretationen achte als auf "das muss so oder so klingen und nicht anders" oder "der und der hat das aber so und so gesungen" (das sind alles oft sehr persönliche Vor- bzw. Misslieben), spielen Klassifizierungen keine so große Rolle für mich. Wenn Jonas Kaufmann singt, dann sind das nicht lediglich schön gesungene Arien, schöne Stimme, schöne Gefühle, die zu nichts verpflichten. Es sind Porträts von Menschen, unglaublich intensiv, lebendig und absolut präsent, ja leibhaftig. Dazu eine außerordentlich klare Aussprache, so dass man jedes Wort versteht. Man lebt mit den Charakteren, liebt und leidet mit ihnen. Seine Stimme lässt da nichts zu wünschen übrig. Hoffnung, Angst, Zorn, Erschrecken, Zweifel, Liebe, Zärtlichkeit – alles liegt in dieser Stimme. Und das ist dann nicht lediglich eine Frage der Höhen, der Glätte, der Schönheit. Eher eine der Gestaltungskraft und der inneren Wahrheit der Protagonisten und wohl auch des Sängers und Gestalters. Die CD L'Opera Jonas Kaufmann stellt Arien von Massenet, Berlioz, Bizet, Gounod, Halevi u.a. vor. Zu den Stücken selbst: Ich liebe die Arie Au fond du temple saint aus den Perlenfischern und habe auf sie gewartet. Es gibt sicher "schöner" gesungene Versionen, und das trifft wohl auch auf die ersten Arien zu. Und man kann da sogar Jonas Kaufmann gegen ihn selbst ins Feld führen: Früher war das schöner, höher, heller etc. Aber siehe meine Anmerkung weiter oben. Die Arie aus Le roi d’Ys macht mich einfach glücklich (wenngleich der Protagonist sein Glück erst noch ersingen muss), gleichfalls die aus L’Africaine …O paradis – ja, das ist es wohl. Auch die beiden Stücke aus Manon beeindrucken mich, insbesondere die „Traumerzählung“ des Des Grieux. Jonas Kaufmann singt sie sehr sanft, zärtlich und werbend. Dass die Frauenstimme in der zweiten Arie „duftiger“ klingt (wie Kritiker schreiben), liegt wohl auch daran, dass Manon den Mann verführen will – wie soll sie sonst klingen? Er versucht sich zu wehren – wie klingt ein Mensch, wenn er sich verzweifelt zu wehren versucht und doch erliegt? „Duftig“? (Angeblich muss französische Oper so klingen.) Soweit diese Arien, die kann ich genießen und mich an ihnen erfreuen – wenn man das so ausdrücken möchte. Bei den folgenden absolut beeindruckenden Stücken kann und will ich mich nicht zurücklehnen und die Musik „genießen“. Dazu sind sie viel zu aufwühlend und tragisch. Und die Kunst Jonas Kaufmanns besteht nicht zuletzt darin, das bis in Nuancen hörbar zu machen. Im Grunde sind die Arien aus Le Cid, La Juive und La Damnation de Faust Gebete. Gebete von Menschen, die nicht mehr aus noch ein wissen, deren Welt zusammengebrochen ist oder die sich in Sehnsucht nach Jugend, Liebe und Unschuld (wie Faust) verzehren. Das ist herzzerreißend – wie der Vater aus La Juive, der die über alles geliebte Tochter einem grausamen Tod ausliefert. Jonas Kaufmann singt ihn so lebendig, dass man ihn vor sich sieht und fühlt, wie er wegen seiner schrecklichen Handlung über sich selbst entsetzt ist. Auch die Arie aus Les Troyens ist mehr als hörenswert: Äneas, der versucht, vor sich und Dido zu rechtfertigen, dass er sie verlässt, hin und her gerissen zwischen seinen Gefühlen für sie und dem, was er für seine Pflicht hält. Bleiben noch Orchester und Dirigent: Das Bayerische Staatsorchester mit Bertrand de Billy: Höchstes Lob für beide. Sensibel, kraftvoll, dynamisch, dramatisch, leise, zärtlich, sanft („duftig“). Einfach paradiesisch, sozusagen. Orchester, Dirigent und Sänger bilden eine Einheit. Die Sängerin Sonya Yoncheva und der Sänger Ludovic Tezier sind sehr gute, überzeugende Partner für Jonas Kaufmann. Schön, dass sie zusammen im Oktober 2017 in Paris den „Don Carlos“ von Verdi in französischer Sprache sangen. Ein großartiges Ensemble, wie man in der Ausstrahlung der Oper auf ARTE vom 19.10.2017 erleben konnte, egal, ob man die Inszenierung mochte oder nicht. Fazit: Eine CD, die ich nur empfehlen kann, insbesondere wenn man nicht nur an schönen Stimmen interessiert ist, sondern auch an Inhalten. Wenn man es aushält, die Musik am eigenen Leib zu erleben und nicht nur im Kopf oder in den Ohren. Sony Classical - 2017 - Audio-CD |